„Mauer des Schweigens 2021” geht an Finanzminister Gernot Blümel, die oberösterreichische Landesregierung und das Gesundheitsministerium

Mathias Huter

Beschäftigt sich mit Transparenz, Open Data und Anti-Korruption, interessiert sich besonders für Parteienfinanzierung und Beschaffungen. Von 2009 bis 2014 für Transparency International Georgia in Tiflis tätig.
  • “Goldener Informationsfilter” an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Bundeskanzler Kurz und alle Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, die amtliche Kommunikation regelmäßig von ihren Handys löschen und so Nachvollziehbarkeit verunmöglichen;
  • Transparenz-Preis mangels Einreichungen nicht verliehen

Wien, 28. September 2021 – Anlässlich des heutigen internationalen Tags der Informationsfreiheit – dem Right to Know-Day – verleiht das Forum Informationsfreiheit auch heuer wieder den Amtsgeheimnis-Award „Die Mauer des Schweigens“ für “besondere Verdienste um die Verweigerung amtlicher Antworten”.

Mit dem Negativ-Preis weisen wir jährlich auf die inakzeptable Praxis der Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor den Bürgerinnen und Bürgern hin.

Mauer des Schweigens

Nominiert werden konnten alle Fälle bei denen österreichische Behörden Auskünfte verweigert haben, Informationen von Politik oder Verwaltung zurückgehalten wurden, oder öffentliche Kontrolle staatlicher Institutionen durch politische Bemühungen erschwert oder verhindert wurde.

Die Preisträger 2021

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) 

“für die Informationsblockade in Richtung Untersuchungsausschuss, die selbst nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs aufrecht erhalten wurde”

Viele Monate musste der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung auf beantragte Emails aus dem Finanzministerium warten. Selbst nachdem der Verfassungsgerichtshof auf Herausgabe entschieden hatte, passierte nichts. Erst als der Verfassungsgerichtshof den Bundespräsidenten mit der Exekution beauftragte, wurden die Emails, die augenscheinlich längst zusammengestellt und vorbereitet waren, vom Finanzministerium binnen weniger Stunden an das Parlament geliefert – allerdings in ausgedruckter Form, und als so geheim eingestuft, dass den Abgeordneten eine sinnvolle Bearbeitung kaum möglich war. Laut Oppositionsparteien waren die gelieferten Dokumente auch unvollständig. Blümel selbst hatte im U-Ausschuss ausgesagt, weder einen Laptop für seine Arbeit zu besitzen, noch eine persönliche Email-Adresse im Finanzministerium zu haben.

Mit seiner fragwürdigen Verzögerungstaktik untergrub Blümel gezielt die Kontrollfunktion des Parlaments und die Arbeit des U-Ausschusses, verhinderte eine Untersuchung etwaiger relevanter Nachrichten innerhalb des Finanzministeriums, und lotete dabei die Grenzen des Rechtsstaates aus. In einer Demokratie braucht es effektive und durchsetzbare Transparenzbestimmungen, um eine öffentliche Kontrolle sowie eine Kontrolle der Regierung durch das Parlament sicherzustellen – insbesondere, wenn es um Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch und Nepotismus geht.

Finanzminister Gernot Blümel und sein Ressort sind Titelverteidiger der Mauer des Schweigens. Bereits im Vorjahr hatten sie die Mauer für die intransparenten Covid-19 Förderungen sowie die hunderte Millionen Euro teure AUA-Rettung ohne jegliche öffentliche Kontrolle erhalten.

Oberösterreichische Landesregierung

„für die Geheimhaltung von PR-Aufträgen an mutmaßliche rechtsextreme Corona-Leugner“

Die oberösterreichische Landesregierung hielt vor der Wahl geheim, wer öffentliche Aufträge an die PR-Agentur eines – laut Profil – „rechtsextremen Corona-Leugners“ vergab. Welcher Landesrat vergab welche Aufträge und um welche Beträge? Die FPÖ-Landesräte und ihre Pressesprecher äußerten sich auf Anfragen dazu lange nicht, Journalisten konnten schließlich per Ausschlussprinzip nachvollziehen, dass FPÖ-Sicherheitslandesrat Wolfgang Klingler (FPÖ) laut OÖN für die Auftragsvergabe verantwortlich war. Details zu den Aufträgen blieben geheim.

Klar ist: Der “Datenschutz” war nur ein vorgeschobener Grund, Informationen über Aufträge geheim zu halten, das wird jedes Gericht bestätigen. Ebenso, dass eine Beauskunftung von öffentlichen Auftragsvergaben keine “Vertraulichkeit von Geschäftsbeziehungen” verletzen würde. Nur: bis dahin ist die Wahl schon vorbei, die Gelder sind geflossen und die Aufträge abgeschlossen. Und in sechs Jahren, bei der nächsten Landtagswahl, ist es vielleicht auch wieder vergessen.

Gesundheitsministerium

„für die weiterhin mangelnde Transparenz bei den Daten zum Pandemiegeschehen“

Das Gesundheitsministerium hält weiterhin wichtige Informationen zur Pandemielage geheim – und begründet die Informationsverweigerungen so unzureichend, dass das zuständige Gericht Beschwerden dagegen „aufgrund von krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken“ nicht entscheiden kann. So wird beispielsweise weiterhin die Zahl von Corona-Infizierten in einigen Bundesländern für jede Gemeinde veröffentlicht, in anderen jedoch nicht. Von uns 2020 bemängelte mangelnde Daten zur Dauer der Kontaktnachverfolgung von Covid-Fällen existieren weiterhin nicht. Der kürzlich bekannt gewordene Rohbericht des Rechnungshofes zum Thema lässt auch vermuten, dass durch die Intransparenz über das Zusammenkommen der Daten auch Unzulänglichkeiten verborgen wurden. Dabei wäre eine besonders transparente Kommunikation wichtig, um das Vertrauen in die Pandemiebekämpfung zu stärken.

Goldener Informationsfilter

für Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, die Amtsgeschäfte per SMS und Messengerdiensten erledigen und diese Kommunikation dann löschen”

EU Kommissionspräsidentin Urusla von der Leyen tut es, ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz tut es. Viele Politiker und Spitzenbeamte, in Österreich wie auch in den EU-Institutionen, verwenden ihre Handys – mitunter private Geräte und keine Diensthandys – zur Besprechung von Amtsgeschäften, die sie jedoch regelmäßig löschen und so öffentliche Nachvollziehbarkeit und Kontrolle verhindern und in weiterer Folge die zeitgeschichtliche Aufarbeitung verunmöglichen.

So hat von der Leyen laut Medienberichten etwa die Lieferung von Covid-19 Impfstoffen per SMS mit dem CEO von Pfizer verhandelt. Die EU-Kommission konnte nach einer Anfrage jedoch keine Kommunikation dazu finden, da SMS-Nachrichten nicht archiviert werden. EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly ermittelt deshalb und will bessere Regeln für die Archivierung derartiger Nachrichten durch EU-Institutionen.

Kein Transparenz-Preis mangels Einreichungen

Erstmals wollte das Forum Informationsfreiheit am Tag der Informationsfreiheit auch Behörden auszeichnen, die sich im Rahmen von Auskunftsbegehren besonders transparent und offen verhalten haben, und hat zu Nominierungen aufgerufen. Mangels Einreichungen nachvollziehbarer Fälle kann dieser Preis jedoch nicht vergeben werden – wir hoffen, im kommenden Jahr führende Behörden, die sich um Transparenz bemühen, auszeichnen zu können.

Was wurde aus…?

Jahrelang haben wir versucht, den Auftrag des Landes Niederösterreich zum Quartier Drasenhofen, in dem minderjährige Flüchtlinge untergebracht wurden, an die Öffentlichkeit zu bekommen. Vergeben wurde der Auftrag durch Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ), der dafür 2019 mit der Mauer des Schweigens ausgezeichnet wurde.

Im vergangenen Jahr zeigte sich: der Auftrag wurde rechtswidrig vergeben, Waldhäusl selbst hatte sich laut Medienberichten das exzessive Sicherheitskonzept gewünscht. Das Amt der Landesregierung hatte uns nur einen Mustervertrag übermittelt, in dem diese Wünsche des Landesrats und die damit verbundenen Kosten nicht enthalten waren.

FOI fordert konkrete nächste Schritte bei Informationsfreiheitsgesetz

„Seit der Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz im Frühjahr in Begutachtung war, gibt es keine erkennbaren Fortschritte, ein Gesetz, das internationalen Standards genügt, auf Schiene zu bringen“, sagt Mathias Huter, Vorsitzender des Forum Informationsfreiheit.

Wir fordern Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) auf, einen konkreten Fahrplan für das Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen und sicherzustellen, dass es rasch Fortschritte gibt und das Informationsfreiheitsgesetz seinen Namen auch verdient. Ein Gesetz ohne Informationsbeauftragten oder einer vergleichbaren unabhängigen Kompetenz- und Kontrollstelle, die die Umsetzung von Transparenzbestimmungen vorantreiben und begleiten würde, wäre nichts anderes als ein Placebo-Transparenzgesetz.

Ebenso fordert das Forum Informationsfreiheit klare, strikte und durchsetzbare Regeln zur Archivierung von amtlicher Kommunikation von Politikern und Entscheidungsträgern in der Verwaltung, die beruflich per SMS und Messenger-Diensten kommunizieren. Diese Daten werden weder gesichert noch archiviert. Amtsträger könnten so öffentliche Kontrolle verhindern, Korruption und Amtsmissbrauch werden so besonders einfach möglich. Dass beispielsweise Kalender von Staatsbediensteten nicht archiviert, sondern gelöscht werden, ist nicht im Sinne einer nachvollziehbaren Verwaltung.

28. September – International Right to Know-Day

Am “Right to Know”-Day macht seit 19 Jahren die Zivilgesellschaft international auf die inakzeptable Praxis der Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor den Bürgerinnen und Bürgern aufmerksam. Der Tag wird mittlerweile auch von der UNESCO als „International Day for Universal Access to Information“ begangen.

Vergeben wird die “Mauer des Schweigens“ vom Forum Informationsfreiheit, das sich für Transparenz in Politik und Verwaltung und ein Recht der BürgerInnen auf Information einsetzt. Viele der nominierten Fälle stammen aus dem Anfrageportal des Forum Informationsfreiheit, FragDenStaat.at, auf dem Bürgerinnen und Bürger, JournalistInnen und VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Initiativen ihre Anfrage direkt an die Behörden stellen können. Die Behörden sind gesetzlich zu einer Antwort verpflichtet, verweigern aber oft die Auskunft – mit unterschiedlichsten Begründungen.

Hintergrund: Die bisherigen Negativ-Preisträger der “Mauer des Schweigens”

Im Vorjahr ging „Die Mauer des Schweigens“ an das Gesundheitsministerium sowie Gesundheitsbehörden für das Transparenz-Multiorganversagen rund um die Daten der Corona-Pandemie und Corona-Ampel; an Finanz- und Infrastrukturministerium für fehlende Transparenz und öffentliche Kontrolle bei der Rettung der Austrian Airlines, sowie an das Verteidigungsministerium für das Geheimhalten von Informationen zur Cyberdefense gegenüber dem Parlament.

Der 2019 erstmals verliehene Sonderpreis “Der goldene Informationsfilter” ging im Vorjahr an die türkis-grüne Bundesregierung für die intransparente Handhabung der Corona-Hilfen und die intransparente Ausgestaltung der COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG).

Alle Informationen, Hintergründe und Preisträger der letzten Jahre gibt es hier.