Erstmals erschienen in der Fachzeitschrift “Medien & Zeit”, Heft 3/2019:
Journalismus in Österreich Herausforderungen, Dynamiken, Widerstände
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100 Jahre nach Ausrufung einer demokratischen Republik, gesteht der Staat den Bürgern noch immer kein verfassungsmäßiges Recht auf Information zu. Journalistinnen und Journalisten müssen es darum umso mehr einfordern, um ihrer Kontrollfunktion gegenüber der Politik gerecht zu werden.
„Eine Kleinstadt ist eine Stadt, in der
jeder alles von jedem weiß,
und trotzdem jeder das Lokalblatt kauft,
um zu sehen,
was davon der Redakteur zu veröffentlichen wagt“
— Danny Kaye, amerikanischer Komödiant
Wenn man als JournalistIn in Österreich einer Pressestelle einer Behörde eine Frage stellt, kann man schon mal einen der folgenden Sätze hören: ein ganz höfliches „Wir bitten um Verständnis, dass wir diese Information zum momentanen Zeitpunkt nicht geben können.“
„Verständnis“ — wofür?
„Nicht geben können“ — warum?
„Zum momentanen Zeitpunkt“ — wann dann?
Das höfliche Deutsch heißt auf gut Österreichisch also nur:
Das sagen wir nicht.
So auch bei einer Recherche für profil vor über zehn Jahren: Das österreichische Parlament verweigerte damals die Auskunft, welche Abgeordneten des Nationalrats bisher von dessen Immuniätsausschuss der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung freigegeben wurden. Sprich: Wer selbst als Volksvertreter:in so sehr im Verdacht steht das Gesetz so sehr verletzt zu haben, dass seine Immunität als Parlamentarier:in einfach nicht mehr vor Ermittlungen der Justiz und einer etwaigen Strafe vor Gericht schützen sollte.
Ein Vorgang, der in Österreich ohnehin höchst selten vorkommt, wenn man ihn der Zahl der Korruptionsaffären und Machtmissbrauchsskandale gegenüberstellt, die in immer kürzeren Intervallen bei einigen Parteien (es sind immer wieder ähnliche) und ihren Politikern (meist Männer, darum ungegendert) so aufgedeckt werden.
Das Argument des Beamten oder der Beamtin für die Weigerung auf Nachfrage: „Diese Information zu veröffentlichen würde die Würde des Hauses schädigen.“
Das Problem in Österreich? Es gibt kein Problem.
Man beachte das — in seiner Selbstverständlichkeit sich des Gesagten gar nicht bewusste seiende — Denken dieser österreichischen Hoheitsverwaltungslogik: Nicht der oder die Abgeordnete schädigt mit der etwaigen Begehung eines Verbrechens die Würde des Hohen Haues. Nein, der Journalist oder die Journalistin würde das tun — wenn er oder sie die Nachricht über einen Gesetzesbruch eines Gesetzesmachers den Bürgerinnen und Bürgern überbringt.
Mit Problemen in Österreich ist es ein wenig so, wie mit Schrödinger’s Katze: Jeder weiß, dass es sie in seinem Inneren gibt. Aber sie werden erst dann zu Solchen, wenn jemand wirklich mal den Deckel öffnet und reinsieht. Solange die Tür aber zu bleibt, ist alles gut in Österreich.
„First step in solving any problem, is recognizing there is one.“
— ACN-Anchorman Will McAvoy, „The Newsroom“ (S1E1)
In offeneren Gesellschaften ist das anders, selbst im gleichen Sprachraum: Wer beispielsweise in Deutschland auf ein Problem hinweist, gilt als der Erste, der zu dessen Lösung beiträgt. Wer in Österreich auf ein Problem hinweist, ist der Erste, der den Konsens gesellschaftlicher Gemütlichkeit durchbricht.
Das Missverständnis der Politiker:innen:
Vom Herrschaftswissen der Hoheitsverwaltung
Wer dagegen als BürgerIn etwas erfragt, wird von der Behörde oft mit zwei Gegenfragen konfrontiert: erstens „Wer sind Sie eigentlich?“; und zweitens „Warum wollen Sie das wissen?!“ Beides muss jedoch in einem demokratischen Staat irrelevant sein. Es muss reichen Bürger:in zu sein, um wissen zu dürfen.
Denn die Behörde fragt damit nicht etwa nach dem Namen, sondern vielmehr nach dem Status der Person, und mit Zweiterem nach der Verwendung der Information. Man könnte ja damit — nicht auszudenken! — ein Problem aufzeigen.
Dabei stehen dem Amt beide Entscheidungen nach demokratischem Verständnis nicht zu. Es dürfte nur entscheiden, ob eine Information aufgrund der Rechtslage öffentlich sein kann oder eben nicht. Dann aber Alles und für jeden, oder eben Nichts und für niemanden. Denn die Informationen gehören den Bürgerinnen und Bürgern, die Verwaltung verwaltet sie nur — auch darum heißt sie auch Verwaltung.
„Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Vorteil“
— Transparency International
Dennoch: Manche Politiker:innen Österreichs verstehen den Begriff der „Hoheitsverwaltung“ auch 100 Jahre nach Einführung der Demokratie immer noch falsch: Sie betrachten Information als Herrschaftswissen, das die Machthaber:innen in Gutsherrenart nach Gutdünken an jene Untertan:innen verteilen, die den eigenen Zwecken dienlich sind, und jenen vorenthalten, die nicht parieren oder sogar noch kritisieren. Allein das ist bereits politischer Machtmissbrauch.
Der Bürger und die Bürgerin: Souverän des Staates
Die grundsätzliche Idee einer demokratischen Republik ist nämlich eine andere: Demnach sind Bürgerin und Bürger der Souverän des Staates; schon manifestiert im Verfassungsgrundsatz „Das Recht geht vom Volk aus.“
Folgt man dieser Idee, stellen sich Politiker:innen und Beamt:innen als dementsprechende Dienstleister dar, denen die Bürger:innen den Auftrag erteilt haben zu gestalten und zu verwalten; die aber dennoch auskunftspflichtig über Tun und Lassen bleiben. Damit stellt sich in diesem Bild eine ganz zentrale Frage: Mit welchem Recht verweigert der Dienstleister dem Auftraggeber die Auskunft?
Das Recht, auf das sich Politik und Verwaltung gern berufen, ist oft das österreichische Amtsgeheimnis. Eine in der Bundesverfassung verankerte Bestimmung, die ihre Kraft viel weniger aus ihrem tatsächlichen Wortlaut, als vielmehr seiner dehnbaren Interpretation zieht, durch die man sich trefflich dahinter verstecken kann. Kurz: Das Amtsgeheimnis wird zur Auskunftsverweigerung viel mehr oft nur vorgeschoben.
„Ein Volk, das sich selbst regieren will, muss sich bewaffnen mit der Macht des Wissens. Eine öffentliche Regierung ohne öffentliche Information ist der Anfang einer Farce oder eine Tragödie — oder möglicherweise beides.“
— James Madison, US-Präsident und Co-Autor der amerikanischen Verfassung
Information ist aber die Grundlage der Demokratie; oder zumindest der sinnvollen Teilnahme daran. Auf welcher Basis sollen wir entscheiden, wenn nicht auf der von Fakten — jener, die uns jene über ihr Handeln geben, die sich wieder um ein Amt bewerben; und jener, die sie uns über ihr Handeln eben nicht geben wollen, und wir sie deshalb erfragen müssen.
Für uns Bürgerinnen und Bürger ist dies durchaus möglich: Schließlich gibt es neben dem berühmten Amtsgeheimnis auch das weitgehend unbekannte Auskunftspflichtgesetz, das jedermann das Recht einräumt, von der Verwaltung Auskunft zu verlangen — und diese eben auch antworten muss.
Gleichzeitig ist es in der Umsetzung nicht für alle Menschen gleichermaßen einfach eine treffsichere Frage über staatspolitische Vorgänge an die exakt dafür zuständige Behörde zu richten. Der erste juristisch klingende Brief kann eine:n Durchschnittsbürger:in schon ans gefühlte Ende der eigenen Möglichkeiten bringen. Einen formlosen Einspruch dagegen bei Gericht zu deponieren ist für viele außerhalb ihrer Möglichkeiten, weil persönliche Repressalien nur de jure, aber nicht de facto ausgeschlossen sind.
In unserer Idee von Gesellschaft delegieren wir diese Aufgabe also an fachkundigere Mitbürger:innen, die sich der Kontrolle unserer Dienstleister in Politik und Verwaltung verschrieben haben: die Journalist:innen.
Journalist:innen — mit Recht zu Gericht
Mit der Information in der Demokratie verhält es sich wie mit der Information in der Medizin: Der Pathologe weiß alles, nur leider zu spät. Damit sind Historiker:innen gleichsam die Patholog:innen einer Gesellschaft. Die Journalist:innen dagegen sind die Akutmediziner:innen der Republik: Sie sorgen dafür, dass wir die Informationen vor der Wahl bekommen, um informiert entscheiden zu können; und nicht erst danach, wenn es bereits zu spät ist.
Daraus leitete sich jedoch eine enorme Verantwortung für die Journalist:innen ab: Die Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass maßgebliche Informationen den Bürger:innen zum Entscheidungspunkt zur Verfügung stehen. Eine Verantwortung, zu deren Wahrnehmung wir als Gesellschaft bestimmte Rechte für sei geschaffen haben wie Pressefreiheit, Redaktionsgeheimnis oder Medienprivileg. Rechte, deren Wahrnehmung zwar implizit in der Berufsausübung passiert; die jedoch nur Schutz bieten, aber noch keinen zusätzlichen Aufwand verlangen, um sie mit Leben zu erfüllen.
Provokant gesagt dürfen Journalist:innen in Österreich zwar alles schreiben, sie dürfen nur nicht alles wissen. Genau da liegt die neue Einschränkung der Pressefreiheit: Denn Informationsverweigerung des Staates ist „Zensur an der Quelle“.
„Journalism is the first rough draft of history“
— Alan Barth & Phil Graham, Washington Post
Der beruflichen Verantwortung gegenüber den Bürger:innen umfassend gerecht zu werden, hieße aber eben auch, die zur Verfügung stehenden Mittel der verbrieften Auskunftsrechte zu nutzen und immer wieder aufs Neue auszuschöpfen.
Nur wenn Journalismus den Staat auch rechtlich dazu zwingt, jene durch Verwaltungsobjektivität gesicherten Informationen herauszugeben, die Politik oder Verwaltung aus ganz persönlicher Interessenslage eigentlich lieber geheim halten wollen, kann man davon ausgehen, dass die Kontrollfunktion im Gesellschaftsgefüge auch als solche gelebt wird.
Was fehlt: Informationsfreiheit mit Zugang zu Dokumenten
Ein echtes Recht auf Information besteht in Österreich auch 100 Jahre nach erstmaliger Ausrufung einer demokratischen Republik nicht. Und das Bestehende ist schwach ausgestaltet: So verbrieft das Auskunftspflichtgesetz nach derzeitiger Lesart (vieler Behörden) vereinfacht gesagt nur ein Recht darauf, dass der Beamte sinngemäß einen Teil dessen zusammenfasst, was er aus den ihm vorliegenden Unterlagen entnehmen kann. Es handelt sich um ein Recht auf Auskunft, nicht auf Information. Darüberhinaus ein Recht auf Zugang zu Dokumenten, wie dies international üblich und die Grundlage für viele Freedom of Information-Acts der Welt von Schweden bis in die USA üblich ist, fehlt im Wortlaut des Gesetzes und kann nur durch immer neue Prozesse vor Gericht erstritten werden.
Denn ohne Zugang zu Originaldokumenten des Staates lassen sich viele Dinge aber nicht klar verifizieren. Auch lässt sich niemand für eine falsche Auskunft verantwortlich halten, da diese oft nur mündlich erteilt wird, und man sich damit nicht auf eine rechtliche Verbindlichkeit berufen kann. Kurzum: Oft bleibt dem Journalismus nichts anderes übrig, als Hörensagen zu schreiben — und mit viel Aufwand rundum bestmöglich abzusichern.
Ein echtes entsprechendes Informationsfreiheitsgesetz, dass dieses Recht auf den Zugang zu Dokumenten gewähren würde, wurde auf Initiative des Autors und einiger Kolleg:innen vor zehn Jahren von der Politik auf oberster Ebene zwar erstmals versprochen, die Regierungsvorschläge seither enthielt aber immer wieder Lösungen, die mit chirurgischer Präzision treffsicher an diesem Ziel vorbei gingen.
Für Journalist:innen ergibt sich daraus aber die Verpflichtung zumindest die bestehenden Auskunftsrechte soweit zu nutzen, wie sie eingeräumt werden — und durch Einsprüche gegen Erstentscheidungen entsprechende Verfahren einzuleiten, mit denen die Informationsrechte durch Gerichtsentscheide Stück für Stück ausgeweitet werden.
Die Praxis zeigt, dass die Journalist:innen in Österreich, die bisher jährlich Anfragen nach dem Auskunftspflichtgesetz stellen wohl kein Dutzend voll machen. Und Journalist:innen, die Antwortverweigerungen der Republik vor Gericht bekämpfen jedes Jahr an einer Hand abzuzählen sind.
Am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft wurde das „Filing“ von „Freedom of Information-Requests“, also Recherche durch Anfragen nach dem Auskunftspflichtgesetz und deren Durchsetzung in Verfahren noch nicht Pflichtgegenstand der Journalismus-Vorlesungen.
Vielleicht sollten sie das künftig sein. Damit es nicht nocheinmal 100 Jahre dauert bis diese Presserechte auch von allen gelebt werden.